Son Real, die geheimnisvolle Totenstadt am Meeresrand

Totenkult im Norden Mallorca

Die Geschichte einer antiken Totenstadt auf der Insel Mallorca

Mystisch, faszinierend und im wahrsten Sinne des Wortes steinalt: Beim Besuch der Nekropole von Son Real im Norden Mallorcas kommt fast ein gewisses Indiana-Jones-Feeling auf, wenn man bedenkt, dass die Tausende von Jahren alte Geschichte dieser antiken Totenstadt (altgriechisch νεκρός nekrós, deutsch ‚Toter‘ und πόλις pólis, deutsch ‚Stadt‘) auf einer kleinen Landzunge nahe Can Picafort erst 1957 entdeckt und ausgegraben wurde.

Für einen Ausflug dorthin sollte man ein paar Stunden einplanen, denn der Fußweg führt entweder über den Strand von Son Bauló, indem man etwa zwanzig Minuten am Meeresufer entlanggeht, oder von der öffentlichen „Finca Ses Cases de Son Real“ aus auf einem ausgewiesenen Weg mit niedrigem Schwierigkeitsgrad und 2,3 Kilometern Länge. Mit ein bisschen Glück trifft man auf diesem Naturpfad auch ein paar wilde Hasen oder entdeckt seltene Vögel, denn die Finca liegt in einem Naturschutzgebiet, in dem mehr als 200 Vogelarten zusammen leben und beobachtet werden können. Am Ende jeder Route werden die Besucher mit einem unvergesslichen Blick auf das Meer und die Berge belohnt, bevor sie in die geheimnisvolle Geschichte des prähistorischen Bestattungskultes eintauchen.

Geheime Totenstätte
Begräbnisstätte antik Mallorca
Antiker Totenkult auf Mallorca

Punta des Fenicis, die Phönizierspitze

Wie ein Labyrinth drängen sich die aus großen Quadersteinen errichteten, runden oder quadratischen Grabanlagen aneinander. Bereits seit der Eisenzeit ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. bis in die römische Epoche (1. Jahrhundert v. Chr.) hinein hatte man die letzte Ruhestätte der Verstorbenen in sicherer Entfernung zu den Siedlungen der Inselbewohner auf die kleine Landzunge namens „Punta des Fenicis“ verbannt, zu deutsch „Phönizierspitze“.
Wie die Archäologen eines internationalen Forscherteams schließlich herausfanden, hatte die auf dem Friedhof begrabene Bevölkerung jedoch nichts mit der phönizischen Kultur zu tun, sondern war über den gesamten einheimisch – und offenbar sehr wohlhabend.

Totenstadt im Norden von Mallorca
Mallorca antiken Totenstadt

Mehr als 140 Gräber wurden entdeckt

Neben den sterblichen Überresten der Männer und Frauen in insgesamt 143 Gräbern entdeckten die Forscher Grabbeilagen wie Waffen, Schmuck, Keramikgefäße und persönliche Kleidungsstücke von ritueller Verwendung und Bedeutung. Bei den Grabungsarbeiten wurden Knochen von mindestens 425 verschiedenen Menschen gefunden, die gleich mehrere Gemeinsamkeiten aufwiesen: Ihre Skelette zeigten kaum Merkmale harter körperlicher Arbeit und bei der Bestattung wurden ihre Arme und Beine meist angewinkelt mit dem Körper verschnürt. Weil normal Sterbliche in jenen Zeiten auf Mallorca üblicherweise in Höhlen begraben wurden, lassen Bestattungsort und -rituale darauf schließen, dass diese Totenstadt von Mitgliedern der Elite und Oberschicht bewohnt wurde.

Sehenswürdigkeit im Norden von Mallorca
Son Real Totenkult auf Mallorca
Alte Grabungsstätte auf Mallorca
Sehenswürdigkeit antike Grabstätte
Son Real Totenkult Grabungsstätte

Männer wurden nur 30 Jahre alt

Ihre hohe Stellung in der Gesellschaft war jedoch offenbar nicht gleichbedeutend mit einem langen Leben: Das Durchschnittsalter der in Son Real gefunden Frauen betrug zum Todeszeitpunkt 34 Jahre, das der Männer nur 30 Jahre. Nach Geschlechtern getrennt, teilten sich mehrere Tote ein Grab und wurden in Fötusstellung in Nischen bestattet. Für einen gewissen Gruselfaktor sorgt auch ein Befund an mehreren der aufgefundenen Schädeln, an denen zu Lebzeiten offenbar chirurgische Eingriffe durchgeführt worden waren. Nicht wenige Besucher bekommen eine kräftige Gänsehaut, wenn sie die mystische Vergangenheit dieser historisch aufgeladenen Steinen unter den Füßen spüren. Intuitiv versucht man sich vorzustellen, wie die Menschen damals aussahen, wie sie gekleidet waren und wie sich ihr Lebensstil über die sieben Jahrhunderte, in denen die Nekropole genutzt wurde, veränderte.

Grabungsstätte auf Mallorca

Die Geschichte hautnah spüren

Steine sprechen ihre eigene Sprache: Die Architektur der etwa 800 Quadratmeter umfassenden Grabanlagen als runde oder quadratische Talayots (Türme) und Heilige Stätten (Navetas) verrät immerhin viel über ihren genauen Entstehungszeitpunkt: Runde Grabbauten werden dem Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr., hufeisenförmige dem 5. und rechteckige Bauten dem 4. Jahrhundert v. Chr. zugeordnet. Erst in letzteren fanden sich Spuren von Verbrennung – ein damals neues Bestattungsritual, das vermutlich durch die von außerhalb auf die Insel eingewanderte Bevölkerung eingeführt wurde. Da es keine schriftliche Überlieferung gibt, wird sich das Geheimnis der Steingräber von Son Real jedoch wohl nie ganz lüften lassen. Vielleicht ist das auch nicht so wichtig, denn so bleibt diese Totenstadt ein Ort, an dem man die Geschichte hautnah spüren kann.

Antike Grabungsstätte auf Mallorca
Maria Pliatsika, Work and Traveltour Mallorca
Work and Traveltour Mallorca 2021

Bild & Text: Gema Cristóbal, The Gourmet Manufactory Est. 2015

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