Joan Bennàssar – Auf den Spuren der geheimnisvollen Skulpturen am Strand von Can Picafort.
Die Damen, die sich auf den Felsen im seichten Wasser vor der Promenade von Can Picafort niedergelassen haben, sind wahrlich keine Leichtgewichte. Die größten ihrer Art sind bis zu drei Meter groß und bringen locker 400 Kilo auf die Waage – ohne Kleidung, versteht sich.
Die Nackten stammen aus der Skulpturenfamilie des mallorquinischen Künstlers Joan Bennàssar, dessen Werke quer über die Insel verteilt sind. Hier an der Bucht von Alcudia sind es insgesamt vier Gruppen, die – wie es sich für Sirenen gehört – die Passanten magisch anziehen.
Bei Nacht werden es Göttinnen und Feen
Ob winkend, in sich ruhend oder einfach nur dasitzend: Als attraktive Selfie-Partner laden sie die Touristen tagsüber zum Verweilen und natürlich zum Fotografieren ein. Wenn die Nacht kommt, folgen sie laut ihrem Erschaffer dann ihrer Mission als Göttinnen und Feen, die mit der Natur und dem Meer sprechen. „Ich bin ein durch und durch mediterraner Mensch, ein Einwohner des Mittelmeeres, das ist mein Thema. Das Mediterrane ist die Quelle meiner Inspiration: unsere Kultur, Geschichte, die Traditionen, unser Wesen – und zwar aller, die wir am Mittelmeer leben. Dabei suche und erfinde ich mich immer wieder selbst – durch meine Fähigkeiten, durch das, was ich kann: gestalten und Geschichten erzählen“, erklärte der 1950 in Pollença geborene Mallorquiner unlängst in einem Interview mit der Mallorca Zeitung.
Lust, Ritual, Schatz und Wunde
Bennàssar nennt seinen Stil selbst „primitivistisch“, kein Wunder also, dass die Figuren von Joan Bennàssar ein wenig an die Moai-Köpfe auf den Osterinseln oder andere Artefakte alter Kulturen erinnern. Die Freiluft-Ausstellung entlang der Küste von Can Picafort trägt den Namen „Puertos de Alga Marina“ und ist in vier Gruppen eingeteilt, die der Künstler „El Deseo“, „El Ritual“, „El Tesoro“ und „La Herida“ genannt hat: Lust, Ritual, Schatz und Wunde.
Ob in voller Länge, halber Länge, nur als Kopf oder in kleiner Formation dargestellt, fügen sich die Bennàssar-Frauen harmonisch in ihre natürliche Umgebung des Meeres. An anderen Orten auf der Insel grüßen sie auch von den Treppenstufen von Klöstern und Kirchen oder auf Dorfplätzen. Der international bekannte Künstler ist in seiner Heimat sehr beliebt und hat einen hohen Wiedererkennungswert. Zwischenzeitlich bevölkerten 44 seiner Mittelmeerfrauen die 365 Stufen des Kalvarienberges in Pollença, hier allerdings in männlicher Begleitung.
Joan Bennàssar ist ein vielseitiger Künstler, der neben seinen Skulpturen auch Gemälde, Lithografien und Collagen aus gefundenen Gegenständen erschafft. In seinen Werken verschmilzt er Quellen, Materialien und verschiedenste Prägungen, insbesondere Picassos Kubismus. Sein Weg führte von der abstrakten Kunst über Impressionismus und Realismus zu jenem unverwechselbaren persönlichen Stil, für den er auf Mallorca ebenso berühmt wie beliebt ist.
Das neue Ithaka des Mittelmeeres
In einem Gerüst aus Draht, Zement und Bronze geboren, symbolisieren die Skulpturen für den Künstler die höchste Schöpfung der Natur: den menschlichen Körper. Und geht es nach ihm, machen sie aus dem kleinen Küstenort Can Picafort das „neue Ithaka des Mittelmeers“, in Anlehnung an die Gedankenwelt des antiken Dichters Homer. Bennàssars „Argonauten“, wie er seine Geschöpfe entsprechend gerne nennt, sind eine Huldigung an die Menschlichkeit; seine Sorge gilt der Globalisierung, dem Klimawandel und künstlicher Intelligenz.
Kulturelle Höhepunkt in Can Picafort
In der lokalen Tourismusbranche gelten die wegen ihrer Originalität und beeindruckenden Größe bei Touristen wie Einheimischen beliebten Eyecatcher als ideales Aushängeschild. Auch in Can Picafort erhofft man sich von den Zement-Ladies zwischen der Plaza de Cervantes und dem Strand von Son Bauló einen starken Impuls und Imagewandel. Mit ihrer Unterstützung soll sich der Ort zur kulturellen Referenz im Norden der Insel und insbesondere in der Bucht von Alcudia wandeln und Besuchern ein kulturelles Highlight bieten.
Wie lange die Skulpturen an einem Ort bleiben, ist sehr unterschiedlich. Manchmal sind es nur ein paar Monate, bis sie am Ausstellungsort wieder abgebaut werden, manchmal Jahre. In Can Picafort sind sie gekommen, um zu bleiben.
Bild & Text: Gourmet Manufactory Est. 2015