Ein Reisebericht von Michael M. Fritz
Wer im Herzen Europas die böhmische Metropole besucht, sollte es nicht versäumen, ins Café Slavia einzukehren. Wenn Sie vom unteren Ende des Wenzelsplatzes in Richtung Moldau schlendern, sich dabei auf der Nationalallee (tschechisch: Národní) halten, stoßen Sie unweigerlich vor der Brücke der Legionen linker Hand auf den prächtigen, das Areal bestimmenden Bau des Nationaltheaters. Rechter Hand genau gegenüber befindet sich das Café.
Die hohen Fenster weisen über die Moldau zur Kleinseite, wo auf dem Hügel die Burg, der Sitz der böhmischen Könige und später der tschechischen Regierungen, weit über der Stadt thront. Das Slavia wurde als Theatercafé Ende des 19. Jahrhunderts errichtet, zu dessen Stammgästen neben Regisseuren und Schauspielern Bedřich Smetana gehörte, der Komponist der berühmten symphonischen Dichtung Die Moldau. In den dreißiger Jahren wurde das Café baulich verändert im Stil des Art-déco, in dem es sich heute noch befindet: Schlichte Eleganz und Sachlichkeit sind die bestimmenden Elemente. Die rosa Nelken in gläsernen Vasen auf allen Tischen vervollkommnen den gediegenen Eindruck.
Prag war immer zweisprachig. So wurde das Café zwar zu einem Treffpunkt vor allem tschechischer Schriftsteller wie Karel Čapek und Jarolslav Seifert, aber auch deutscher wie Egon Erwin Kisch und später der letzten deutschsprachigen Erzählerin Prags Lenka Reinerová. Ob Rainer Maria Rilke, Ota Filip oder Reiner Kunze in seinem Band Die wunderbaren Jahre – sie alle haben das über Prag weit hinaus bekannte Café literarisch verewigt. Die Dichterporträts an den Wänden, diskret in Schwarzweiß, unterstreichen das Flair eines Künstlercafés, in dem viele Schriftsteller nicht nur schlechthin verkehrten, sondern auch schrieben, ja ihre zweite Heimat fanden. Die Großen Nezval, Seifert, Hrabal versammeln sich hier, neben dem Eingang stößt die Russin Marina Zwetajewa dazu.
Als ich mich beim ebenso zuvorkommenden wie gewandten Kellner nach Vaclav Hàvel erkundige, hellt sich sein Gesicht auf.
Am letzten Tisch der Fensterreihe saß er oft, der Dichter, Dissident und erste Ministerpräsident nach der kommunistischen Diktatur, die zu stürzen er selbst beigetragen hat. Zum Kaffee pflegte er zu rauchen, das vor allem: Havel galt auch als starker Raucher. Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht, so Havel, der insgesamt fünf Jahre in sozialistischen Gefängnissen zugebracht hat.
Der Kellner zeigt mir nicht nur Havels Stammplatz, sondern auch die Büste, die an ihn erinnert, in einem Winkel hinter dem Flügel, auf dem abends der weißhaarige Klavierspieler im schwarzen Anzug seinen Auftritt hat, leichthändig, den Oberkörper über die Tasten gebeugt.
Das ganzjährig jeden Tag ab 8.00 Uhr geöffnete Café bietet neben böhmischer auch internationale Küche. Zum Frühstück, das von 9 bis 14 Uhr serviert wird, sind die Eier Benedikt zu empfehlen, die das Haus auf Butterbrötchen mit Spinat und angebratenem Kalbsschinken anbietet – ein reichhaltiges Essen, mit dem man den Tag gutgestimmt in Angriff nehmen kann. Wer es süß mag, kann auf Pancakes mit Erdbeeren zugreifen, die mit Limettencreme, Mintzucker und knusprigem Buchweizen gereicht werden. Mittagstisch gibt es von 11.00 bis 22.00 Uhr, der unter vielen anderen den böhmischen Klassiker Rindergoulasch mit Knödeln bereithält, zu dem Wienerzwiebeln, Preiselbeeren und Grieben gehören. Unbedingt sollte man dazu stilgerecht Bier, am besten ein Budweiser bestellen, das man für verlockende 1,50 € bekommt. Selbstverständlich schmeckt das herrlich deftige Gericht auch mit hausgemachter Limonade oder dem in Prag weit verbreiteten Cidre.
Der Gast kann aus einem sehr umfangreichen Kuchenangebot wählen, alle Speisen sind ebenfalls zum Mitnehmen.
Das Café atmet Geschichte, tschechische wie deutsche und allenthalben europäische. Wer nicht im Slavia gewesen ist, ist niemals in Prag gewesen.
Anschrift: 2, Smetanovo nábř. 1012, Staré Město, 110 00 Praha,
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag 8.00 – 24.00 Uhr
Sonnabend bis Sonntag 9.00 bis 24.00 Uhr.
Zu erreichen per pedes aber auch mit der Tram, Linien 9,18, 22; Haltestelle Národní divadlo.